ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

zurück

Reimzig

Das Spektrum des Lichts reicht bekanntlich von infrarot bis ultraviolett. Eine ähnliche Bandbreite umfassen Reimzig, als wahre Leuchten ihres Fachs reichen ihre Klangfarben von brachial bis schmusig, die Gefühlsregungen von angepisst bis kuschelig, die Reime von klitschko-hart-herausfordernd bis ich-schmeiß-mein-Geld-weg-witzig. Kurz, die hellen Hamburger sind Champions sämtlicher Gewichtsklassen, in ihren Fäusten steckt Musik, sie riskieren eine dicke Lippe und führen eine scharfe Zunge im Mund.

Die Hanseaten verstehen sich als Rockband mit zwei Rappern. Somit beweisen sie überzeugend, dass zwischen allen Stühlen noch eine Menge Platz ist. "Eine Schublade ist zu klein für uns, wir passen in alle Schubladen", grinst Frontmann Bünse und trifft den Nagel auf den Hinterkopf. Auf "Rogg´n´Rohl Azubi", dem brandneuen Rundstück der mit allen Wassern gewaschenen Elbstädter, wird folglich gerockt und gerappt, gefunkt und gebluest, gehipt und gehopt, geschmalzt und gebuttert, gebrettert und geschmirgelt, geliebt und gehasst - mitsamt jeder Menge vielfarbiger Zwischentöne, versteht sich. Die Scheibe zeigt klar und deutlich, dass der Fünfer seine Ausbildung mit Bravour absolviert hat, freilich haben auch Riesen klein angefangen. Wie der Beginn einer (hoffentlich steilen) Karriere aussehen kann, zeigt das dazu gehörige Hörspiel über den "Rogg´n´Rohl Azubi", eine Zwerchfell-Attacke, die sich jedermann schleunigst von ihrer Website www.reimzig.de runterladen sollte.

Der Rock kam 1997 ins Rollen, als Bünse die Bandmitglieder zusammen trommelte. Damals gaben Reimzig hauptsächlich Cover von Qualitätskapellen wie Dog Eat Dog oder Rage Against The Machine zum Besten, intonierten aber auch schon Selbstgeschriebenes. Seit zweieinhalb Jahren existiert das quietschfidele Quintett nun in der heutigen Besetzung mit Bünse und Patrick an den Mikroständern, Paquito alias Hank an der Gitarre, Schwäng am Bass und Lars hinterm Schlagzeug. 2001 kam ihr erstes Album auf den Markt, ein kunterbuntes Sammelsurium von Stilen, deswegen auch "Such dir was aus" getauft. Schon damals gab´s mit "Flirten so flach wie der Norden" einen Brüller von Hörspiel auf besagter Website, das an dieser Stelle ebenfalls empfohlen sei.

150 Konzerte spielten Reimzig im Anschluss an das Gesellenstück, dann wurde es höchste Eisenbahn, sich auf die Meisterprüfung vorzubereiten. "Die neue Scheibe sollte richtig fett werden. Wir fuhren zwei Wochen nach Dänemark, um an den Songs zu arbeiten und verbrachten etliche Monate mit Aufnehmen und Mischen", berichtet Bünse bündig. Als Produzent heuerten sie ihren langjährigen Kumpel Edu Garcia an, der bereits bei "Such dir was aus" an den Reglern hockte.

"Für uns ist Musik das Ventil für alle Lebenssituationen, von überschwenglichem Liebestaumel bis zum Zweifel am Leben", meint Bünse. Die Texte entstehen in Koproduktion der beiden Mikromanen, an den Kompositionen ist die gesamte Band beteiligt. "Einer von uns kommt mit ´ner Song-Idee, die dann im Proberaum ausgebaut wird. Wenn wir die geil finden, landet das Ding auf dem Album", berichtet Klampfen-Champ Paquito alias Hank, getreu ihrem Motto: Ab geht er, Hans-Peter! Heraus kam ein regenbogenfarbenes Meisterstück, Musik für Bauch und Hirn, jenseits aller stilistischer Beschränkungen. Angesichts der Güte dieser Leistung und der verblüffenden Aufwärtsentwicklung der Band kann man dem orientierungslosen Nachwuchs - in den Worten von Reimzig - nur eines raten: "Bleib kein Bubi, werd Rogg´n´Rohl Azubi!"

Im Folgenden kommentieren Mundstück Bünse und Griffbrettler Paquito alias Hank die frisch gebackenen Song-Brezeln von "Rogg´n´Rohl Azubi":

WILLKOMMEN
Paquito: "Das ist musikalisch ein kleines Brett, ein Opener, der auf die Fresse haut." Bünse: "Das wird der erste Song der Show, live knallt der richtig. Der Text handelt von uns."

COWBOYS
Paquito: "Am Anfang dieser Nummer stand ein Bottleneck-Lick, über Umwege wurde am Ende eine Cowboy-Nummer draus."
Bünse: "Der Refrain hat unheimlich viel Text, untypisch für andere, typisch für Reimzig. Der Text stammt aus der Spaß-Kategorie und behandelt unser Selbstverständnis."

ICH WILL
Paquito: "Der härteste Song, er geht schon fast in Richtung Nu Metal."
Bünse: "Das ist einer unser ernsteren Texte, er beschreibt, dass es einem beschissen geht, aber man trotzdem weiter macht."

WEIT HINTEN
Bünse: "Die Ballade. Es geht um Verzweifelung, der Typ im Text steht eben weit hinten."

DER MOMENT
Paquito: "Der Song rockt und hat dennoch sanfte Stellen."
Bünse: "Ein Liebeslied. Ich saß mit meiner Freundin am Hafen und war total verknallt. Es geht um diese Phase der frischen Liebe - und die Jungs hatten eine geile Melodie dazu."

SCHAUMAMA
Paquito: "Unser Schlagzeuger steht auf Dub und Dancehall. Der Song hat am meisten Programming und klingt sehr elektronisch."
Bünse: "Der Charakter des Textes ist optimistisch, unbefangen und selbstironisch - wir wissen nicht genau wo´s hingeht, aber wir gehen trotzdem geradeaus."

SORGENFREI
Paquito: "Das Lick des Refrains ist asbach-uralt. Die Gitarren haben wir tiefer gestimmt, sie klingen sehr funky."
Bünse: "Erinnert ein bisschen an Chili Peppers, die wir alle mögen. Die Zeilen haben etwas sorgenfreies, nach vorne gerichtetes. Kümmer dich um gar nix, es wird schon werden."

TSCHÖSS
Paquito: "Der Chorus ist sehr catchy. Ich spiele eine Les Paul, die dieses freie Route-66-Cruising-Gefühl vermittelt."
Bünse: "Das ist ein Anti-Battle-Text. Dissen geht mir auf den Keks, für mich hat Musik mit Battlen nichts zu tun. Eine Zeile heißt deshalb: "Dieser Diss disst bitte nur Disser."

ALLES GETAN
Paquito: "Auf die Worte "Alles Getan" stießen wir während unseres Kreativ-Urlaubs in Dänemark. Die Akkorde dafür stammten aus einer früheren Proberaum-Session."
Bünse: "Ein Sommer-Hit mit Spaß-Text, der mitten im Winter entstand, den wir live als Zugabe spielen."

ANDERS
Paquito: "Das ist Stadionrock, ich hatte beim Aufnehmen das Gefühl, ich steh mit einem Bein auf der Monitor-Box und lass meine nicht vorhandenen Haare im nicht vorhandenen Wind wehen."
Bünse: "Der intensivste Text des Albums, zu dem ich nix weiter sagen will. Jeder soll ihn anhören und und sich seinen eigenen Reim drauf machen.

Vö.: 15.09.03
www.reimzig.de

Henning Richter

zurück