ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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Gotan Projekt - Tango spricht zu jedem

Der elektrische Tango von Gotan Project wird auf der gesamten Welt gefeiert.

„Berlin hat eine großartige Tango-Szene“, schwärmt Eduardo Makaroff, Gitarrist des Gotan Projects. Es ist ein kühler Frühlingstag, gemeinsam mit seinen Kollegen, dem Pariser Philippe Cohen-Solal und dem Schweizer Christoph H. Müller, gibt Makaroff Interviews im Berliner Club „Münzsalon“. Die Musiker lehnen in schweren, braunen Ledersesseln, im Kamin prasselt ein Feuer. Auf der vergangenen, zweijährigen Tour hatte das Trio allein dreimal in der deutschen Hauptstadt Station gemacht, um Konzerte vor ausverkauften Häusern zu geben.

Geboren in Buenos Aires, ging der Gitarrist nach seiner Karriere als Rockmusiker in Argentinien (mit Los Hermanos Makaroff) nach Paris. Zwischen Paris und dem Tango gebe es eine lange Beziehung, berichtet der bärtige Südamerikaner. „Der Tango kam Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts per Schiff über Marseille nach Frankreich. Hier wurde er Teil von Chic, Noblesse und L´Amour. In Paris feierte man den Tango, genau wie ganz Europa. Sogar der Papst sah sich Tango-Tänze an. Entsprechend gewürdigt, kam der Tango zurück nach Buenos Aires.“ Es entspann sich ein reger Austausch zwischen beiden Metropolen, Carlos Gardel (1890-1935), der strahlendste Sohn des Tango, wurde an der Seine bejubelt und Astor Piazzolla (1921-1992), der Erfinder des Nuevo Tango, studierte in Paris.

„Es ist kein Zufall, dass Gotan Project in Paris gegründet wurde“, sagt Cohen-Solal, „dort leben sehr viele argentinische Musiker. Sie experimentieren mit Jazz, Klassik und neuer Musik.“ Trocken wirft Makaroff ein: „Ich war nur ein Tanguero mehr, der aus Buenos Aires nach Paris kam.“ Zusammen veröffentlichten die Drei im Jahr 2001 ihr Debüt „La Revancha del Tango“. Diese bis dato einzigartige Mixtur aus Tango und elektronischen Beats avancierte zum weltweiten Erfolg. Bis heute wurden über eine Million Kopien verkauft. Nun bringt das Trio den heißersehnten Nachfolger heraus. „Lunático“ geht noch einen Schritt weiter, das tango-typische Bandoneon trifft auf die Gitarre von Joey Burns (Calexico), afrikanischer Rap auf Dub, orchestrale Arrangements auf den melancholischen Gesang von Christina Vilallonga, die aus Barcelona stammt.

„Wir versuchen, die Intimität des Tanzes auszudrücken“, erklärt Cohen-Solal. „Außerdem befassen wir uns mit dem Universum der Tangueros. Das Cover des neuen Albums zeigt Rennpferde, denn sie liebten Frauen, Kokain und Pferdewetten.“ Auch der Albumtitel stammt aus der historischen Welt des Tango, das Rennpferd Carlos Gardels trug den Namen „Lunático“.

Ihr „La Revancha del Tango“ von 2001 gab den Startschuss für eine ganze Reihe ähnlicher Gruppen, welche die faszinierend schwermütige Musik Argentiniens mit allen möglichen Stilen kreuzten. Bands wie Bajo Fondo Tango Club, Tanghetto und Narcotango zählen inzwischen ebenfalls zu den Stars der Szene. „Heute scheint es naheliegend zu sein, aber damals hatten wir keine Ahnung wie wir den Tango modernisieren sollten“, erinnert sich Müller an die zähe Arbeit am Anfang. „Es war eine große Herausforderung. Erst als wir Dub integrierten, fand sich das Puzzle zusammen. Wir lassen die Basis des Tango unangetastet, aber wir zerstören seine Struktur, um eine neue Form zu finden“, erklärt Cohen-Solal.

„Diese Platte hat elektrische Gitarren, aber weniger Club-Elemente“, analysiert Christoph H. Müller. „Daneben setzten wir auch eine Menge akustischer Instrumente wie Kontrabass, Streicher, Posaune und natürlich das Bandoneon ein. Elektronische Elemente sind immer noch Teil der Musik, aber sie stehen nicht mehr im Vordergrund.“ Um die authentische Atmosphäre des Tango einzufangen, reisten die Musiker nach Buenos Aires und nahmen im traditionsreichen ION Studio auf. „Das sieht aus immer noch so aus wie in den Sechzigern und hat diese schweren, analogen Breitbandgeräte. Daran arbeiten alte erfahrene Toningenieure, die wir ebenfalls engagierten“, erläutert Cohen-Solal. „Die Puristen mögen uns natürlich nicht“, räumt Makaroff ein, „aber generell hat uns die Tango-Gemeinde mit offenen Armen empfangen, Profis und Amateure lieben Gotan Project.“ (Gotan ist übrigens ein Anagram für Tango.) Mit dem arg strapazierten Begriff „Weltmusik“ will Philippe Cohen-Solal ihre Lieder nicht bezeichnet wissen. „Tango ist vielmehr eine globale Bewegung. Wir sind Tokio, Peking, Rio de Janeiro und Tel Aviv aufgetreten. Tango ist Musik für die Welt, er ist eine universelle Sprache, die zu jedem spricht.“

Henning Richter

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