ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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tip Berlin 26/95:
DESIREE NICK - Zofe der Zote

"Star aus Notwehr", so bezeichnet sie sich selbst. Für D~sir~e Nick ist der Ruhm die einzig logische Konsequenz ihres an Skurrilität kaum zu überbietenden Lebenswegs. Schon lange eine Größe der Kleinkunst-Szene, spielt sie nun die Hauptrolle im neuen Rosa-von-Praunheim-Film "Neurosia", veröffentlicht eine Platte mit Chansons ihres Programms "Hollywud, ick komme" und nimmt momentan ein weiteres Album mit Disco-Songs im House-Stil auf.

Erlebt man die Nick auf der Bühne, bleibt kein Auge trocken, ist ihr erklärtes Ziel doch,"es dem Publikum zwei Stunden nach Strich und Faden zu besorgen! Ihr wollt lachen? Das könnt ihr haben, bis ihr um Gnade winselt!" Niemand reißt schärfere Zoten, bringt spitzere Pointen und geistreichere Gemeinheiten als die blonde Untergrund-Heroine aus Berlin. Ihre Markenzeichen sind üppige Dekollete, atemberaubende Kostüme sowie ein inter-dentaler Zischlaut, dessen unwiderstehlicher Charme Reich-Ranicki vor Neid erblassen ließe. Eine kleine Humor-Kostprobe gefällig? "Wenn die Männer auf innere Werte stünden, würden sie Röntgenbilder als Wichsvorlagen benutzen", lautet eine ihrer Weisheiten das andere Geschlecht betreffend.

Ursprünglich war eine Karriere als Balletteuse geplant. Ihre Jugend verbrachte D& sir6e demnach in der Deutschen Oper, noch heute sei zwischen ihrer Charlottenburger Wohnung und dem Opernhaus ihr Trampelpfad zu sehen, behauptet sie. Im Alter von 21 stellte sich jedoch heraus, daß sie mit ihren 178 cm zu groß wurde fürs klassische Tanztheater. Fazit: "Vierzehn Jahre umsonst gearbeitet." Die Nick entstammt einem Vier-FrauenHaushalt, der Vater machte sich bereits aus dem Staub, als sie drei Jahre alt war. Also wuchs die Kleine mit Tante, Oma und Mutter in einer Wohnung auf"Meine Mutter ist eine gescheiterte Schauspielerin, sie wurde Beamtin bei der Post. Dieses Schicksal hat sie denn auch jeden Tag mit sämtlichen Mitteln der griechischen Mythologie beklagt." Ihre Oma arbeitete als Nachtschwester, "ab morgens um neun durfte ich nur noch schleichen und mußte stets leise sein".

22jährig entfloh sie der geballten Weiblichkeit und ging nach Paris an den Lido, wo sie zwei Jahre tanzte. Zurück in Berlin mußte jetzt vor allen Dingen eine Wohnung her, zurück zu Mutter, Tante und Oma war ausgeschlossen. "Ich war das erste Mal verliebt und brauchte einfach einen Ort, um mal so richtig rangenommen zu werden." Da fiel ihr Blick auf eine Zeitungsannonce: "Dienstwohnung des bischöflichen' Ordinariats in Schmargendorf frei". Sofort griff sie zum Telefon. An diese Wohnung war jedoch die Bedingung geknüpft, eine Ausbildung zur katholischen Religionslehrerin zu absolvieren. Also besuchte die Blondine drei Jahre die theologisch-pädagogische Akademie und erhielt nach Abschluß die"Missio Canonica", die Lehrbefugnis bis zur Oberstufe. "Bei meinem Unterricht gab's nur Einsen und Zweien. Ich nahm Themen durch wie jugendliche Sexualität oder die unbefleckte Empfängnis, was ja bedeutet, zum ersten Mal blieb das Laken sauber. Darauf schrieben die Schüler Briefe an die Schulbehörde: Wir wollen mehr Religionsunterricht bei Frau Nick!' Da sind die natürlich hellhörig geworden." Es dauerte nicht lange und Frau Nick wurde von der Kirche gefeuert und die Wohnung war damit auch flöten.

"Da stand ich wirklich auf der Straße": zu alt für 'ne Umschulung, zu jung für die Frührente und zu müde für eine weitere Affäre." Sie beschloß, nach London zu gehen, wo sie sich in einen Sproß des deutschen Geldadels verliebte. Es begann eine traumhafte Zeit: teure Nightclubs, Kaviar und der Champagner floß in Strömen. Dann entschloß sich der Geliebte, in Salzburg Sport zu studieren, für Desiree eine völlig indiskutable Entscheidung. Also ging sie zurück an die Spree, "wie eine gescheiterte Kurtisane". Hier reifte der Entschluß, Schauspielerin zu werden. Über Off-Theaterszene und Tourneetheater landete D6sir6e schließlich im Berliner Travestie-Schuppen "Lützower Lampe": "Donnerstags bis sonntags arbeitete ich in der Lampe'. Es ist nicht komisch, im Alter von 32 Jahren mit bösartigen, frustrierten und alten Transvestiten zusammenzuarbeiten für siebzig Mark die Nacht und keiner kommt", bemerkt sie trocken. Immerhin sammelte sie hier ihre ersten Fans, darunter viele aus der Schwulenszene.

"Ich habe nie in der Schwulenszene verkehrt, die Schwulen laufen mir nach. Das begann beim Ballett und ging in der Kirche weiter. Was meinst du, was beispielsweise im Dominikanerkloster in Moabit los ist?" klappert sie vielsagend mit den Wimpern."Wenn ich'n Junge geworden wäre, in die sein Elternhaus mit vier Weibern - eine war immer am Bluten - wär' ich jetzt bestimmt 'ne Transe. Diese ständige Ausnahmesituation mit der schlafenden Oma am Tag, hat anscheinend was Schwules an sich. Immer am Rande des Nervenzusammenbruchs! Du stehst auf dem Fensterbrett und überlegst, soll ich nun springen oder kegeln gehen? Da habe ich beschlossen, aus meinem Leben eine Kegelbahn zu machen!"

Das erste Solo-Programm der Diva die von sich selbst behauptet, "ich bin eine Marktlücke", hieß "Eine Frau wird erst schön durch die Liebe". "Schon nach der allerersten Vorstellung kam Rosa von Praunheim in die Garderobe und bot mir die Hauptrolle in seinem nächsten Film an. Ich hab's ihm nicht geglaubt, schließlich hat er ja nicht den besten Ruf" Immerhin, nun ist "Neurosia" abgedreht, der erste Film und gleich die Hauptrolle. "Ich spiele jedoch nicht Lotti Huber, sondern eine spießige Journalistin bei einem schmierigen TV-Sender. Eine total neue Rolle." Von Praunheim bescheinigt sie, er habe sie mit äußerstem Respekt behandelt, dennoch hofft sie, "in Zukunft richtige Filme mit einem richtigen Regisseur zu machen. Ich find's schade, daß ich ihm keinen blasen durfte, dachte ich bisher doch, frau kriegt Hauptrollen nur auf der Besetzungscouch".

Während es beruflich steil bergauf geht und sich Talkshows, Plattenproduzenten und Regisseure um sie reißen, läßt das Privatleben der Nick mächtig zu wünschen übrig. "Seit dem Erfolg hab' ich keine Kerle mehr", stöhnt sie. "Ich bin auch nicht immer keß und frech, in mir ist ja auch noch was anderes. Viele Typen wundern sich, wenn du morgens um sieben nicht mit angeklebten Wimpern und vollem Make-up Kaffee kochst. Dabei ist mein Traum doch, daß mir mein taufrischer Ruhm dazu verhilft ` möglichst viele tolle Männer unglücklich zu machen!"

Henning Richter

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