ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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APOCALYPTICA - Hoffentlich ergreifend

Mit dem Cello schlagen Apocalyptica den Bogen vom Metal zur Klassik.
Das Cello spielte in der Rockmusik jahrzehntelang höchstens eine Nebenrolle, bis Apocalyptica die Szene betraten. Die finnischen Rocker, die allesamt eine klassische Ausbildung genossen, begannen mit Interpretationen von Songs ihrer Lieblingsband Metallica und anderer Heavycombos. Die Zahl ihrer Eigenkompositionen stieg von Album zu Album bis zum aktuellen, vierten Dreher „Reflections“, der ausschließlich Selbstgeschriebenes enthält. „Ein logischer Schritt“, sagt Bandgründer Eicca Toppinen. „Für uns ist es inzwischen interessanter, eigene Werke zu spielen, wir haben uns schließlich weiter entwickelt.“
Zehn der dreizehn neuen Lieder stammen von Eicca, der stets die treibende Kraft hinter den bogenbewehrten Headbangern war. Toppinen ist ein Ausnahmemusiker, bereits im zarten Alter von zehn saß er in einem Orchester. Später trat der Wunderknabe als Solist auf und wirkte in Kammerorchestern mit. Sein Herz gehört aber nicht nur der Klassik, sondern auch dem Rock´n´Roll, insbesondere die majestätischen Riffs von Metallica hatten es ihm angetan. Er absolvierte die Sibelius Akademie in Helsinki, wo er auf drei gleichgesinnte Cellisten traf. 1993 trat das langmähnige Quartett das erste Mal mit Metal-Songs vor ihre Kommilitonen, die von den neuen Arrangements begeistert waren. 1996 hatten sie eine Plattenfirma gefunden, die ihr Debüt „Apocalyptica Plays Metallica By Four Cellos“ herausbrachte. Das Konzept des bogenschwingenden Vierers überzeugte nicht nur Rockfans, sondern auch Freunde der Klassik, 350.000 Anhänger beider Lager zückten die Geldbörse für das „Heavy Cello Werk“. Toppinen ist ein wahres Energiebündel, so komponierte der kreative Kopf vor kurzem neunzig Minuten Musik für die Aufführung von Dostojewkis „Schuld und Sühne“ des finnischen Nationaltheaters. Daneben managt er Apocalyptica und hat vor kurzem eine Familie gegründet und ein Haus gebaut.
Es spricht für das gewachsene Selbstbewusstsein der Skandinavier, dass sie heute ihre klassischen Wurzeln nicht mehr verstecken. „Wir sind viel mehr als eine Metalband, neben harten Songs gibt es auch andere Lieder bei uns. Viele Heavy-Platten sind langweilig. Wir mögen Klassik, Pop- und Rockmusik, manchmal sogar Techno. Zudem verfügen wir über die technischen Fähigkeiten, warum sollten wir uns beschränken?“
Aber natürlich sind auch wieder etliche harte Kracher enthalten, neu ist dabei, dass sich die undogmatischen Cellisten von Rhythmusinstrumenten begleiten lassen. Für fünf Böller engagierten sie sogar einen Giganten der Metal-Szene, keinen geringeren als Dave Lombardo von Slayer. „Es sollte keine Tabus mehr geben, schon auf dem letzten Album „Cult“ hatten wir perkussive Instrumente eingesetzt. Das bedeutet, dass die Celli nicht mehr so rhythmisch spielen müssen, sie haben also mehr Freiheit“, erklärt Eicca. „Wir kannten Dave Lombardo von einem Metal-Festival von 1996. Dann hat er eine unserer Shows in Bochum gesehen, dort gab er uns seine Telefonnummer. Bei den neuen Aufnahmen dachten wir, jetzt ist es Zeit, Dave zu holen.“ Persönlich konnte der „Trommel-Gott“ leider nicht im Studio erscheinen, da er mit Slayer auf Tour war. Stattdessen schickten die Finnen ihm Tonbänder mit Songs, zu denen er sein Schlagzeug unterwegs in verschiedenen Studios einspielte.
So begeistert der blonde Bandboss vom neuesten Werk berichtet, so unsicher war es vor 18 Monaten, ob es überhaupt wieder eine Apocalyptica-Platte geben würde. „Wir vier hatten persönliche Probleme. Es war wie auf einem Riesenschiff, zwei von uns wollten in eine völlig andere Richtung segeln als die anderen beiden, das konnte nicht funktionieren.“ Am Ende verließ Max Lija die Beatzung, momentan sind die Finnen also nur zu dritt. Für die kommende Deutschland-Tournee werden sie sich mit einem Gast-Cellisten verstärken. „Die neuen Songs erzählen davon, was wir durchgemacht haben, es sind Reflektionen eben. Am Anfang steht das Stück „Apprehension“ (zu deutsch: Einsicht). Wir hatten die „Cult“ Tour beendet, alles war durcheinander. Wir wussten nicht, ob es weitergehen würden. Die Platte endet mit „Relief“ (Erleichterung), in diesem Zustand befinden wir uns jetzt.“ Zum Abschluss noch die Frage: Worin besteht für den vielbeschäftigten Erneuerer eigentlich die Magie seines Instruments? „Das Cello ist das Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Es klingt sehr melancholisch, dunkel und hoffentlich ergreifend.“

Henning Richter

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